Reinhard Schramm ist Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen und hat ein Problem. Am 27. Januar 2019 gedachte man in Deutschland mal wieder tapfer der sechs Millionen ermordeten Juden. Zum feierlichen Gedenken gehört feierliches Glockenläuten, dachte man sich wohlmeinend in der evangelischen Kirche Thüringen, wohlwissend, daß ganze fünf Kirchen aus der Nazi-Zeit stammen und somit nationalsozialistische Widmungen und Symbole aufweisen.
Der normale Mensch denkt sich da: Was für ein unglaublicher Schatz. Diese Gravuren müssen unbedingt erhalten bleiben. Den sechs Millionen Juden sind die sicherlich scheißegal. So etwas interessiert nur Gutmenschen, die damit ihre Gewissensonanie betreiben können. Aber hören wir Herrn Schramm selbst, wie er sich in der Jüdischen Allgemeinen der Welt mitteilt:
Am 27. Januar haben in Thüringen in vielen evangelischen Gemeinden die Kirchenglocken geläutet. Bemerkenswert daran war: In fünf Gemeinden waren Glocken mit eindeutigen Widmungen aus der Nazizeit dabei.
Eigentlich sollte der Klang der Kirchenglocken am Holocaust‐Gedenktag Mahnung sein, aber das Läuten der Glocken mit ihren nationalsozialistischen Widmungen ist eine Beleidigung der Opfer der Nazi‐Barbarei.
Der jüdische Gutmensch hat gesprochen. Er hat vermutlich eine Zeitreise nach Auschwitz unternommen und kurz vor der Vergasung noch mal die Meinungen von ein paar Juden eingeholt, was die sich wohl so denken, wenn ihrer in 75 Jahren einmal gedacht werden wird und dann in fünf Kirchen Thüringens Glocken mit Nazi-Inschriften läuten.
Jetzt wissen wir: Das ist eine Beleidigung der Opfer! Nicht nur das! Auch die heute lebenden Juden können sich unglaublich theatralisch als Opfer inszenieren, weil das Glockengeläut in Thüringen nicht ganz koscher ist.
Ich meine, wie bescheuert muß man eigentlich sein, um sich über ein paar Nazi-Gravuren in fünf Kirchenglocken aufzuregen. Und dann noch als Jud‘, der für gewöhnlich in Synagogen abhängt und nicht in evangelischen Kirchen, die sowieso des Teufels sind wegen Martin Luthers Verbalinjurien gegen die Juden.
Hören wir weiter das existentielle Wehklagen des Herrn Schramm:
Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hatte vorgeschlagen, die Widmungen abzuschleifen – auf ihre Kosten. Doch nicht einmal diesen bequemen Ausweg wollten die jeweiligen Gemeindekirchenräte nutzen. So verzichten sie darauf, einzugestehen, dass große Teile der Kirche zwischen 1933 und 1945 schlimme Fehler begangen haben.
Der Jud‘ soll doch angeblich intelligent sein. Schramms Logik: Wenn die arischen Kirchenglocken nicht entnazifiziert werden, wenn ihnen quasi in einem exorzistischen Akt der Gesinnungsethik nicht der Teufel ausgetrieben wird, dann gesteht die evangelische Kirche auch nicht ein, daß sie im Zwölfjährigen Reich große Fehler gemacht hat.
Wer Glocken schleift, der gesteht Fehler ein.
So läuft heute Vergangenheitsbewältigung.
Ich als Deutscher gestehe hier nun frei: Ich liebe die Nazi-Symbolik in diesen fünf Kirchen. Das ist eindeutig Kult. Schramm muß ein absoluter Kulturbanause sein. Er hat wohl noch nichts davon gehört, daß man sich diesen inkriminierten Nazi-Glocken auch historisch-kritisch nähern kann.
Noch einmal ein Beispiel Schramm’scher Logik:
Es sind nämlich vor allem die Kirchengemeinden, die Eigentümer der Nazi‐Glocken sind. Und die nehmen ihre Verantwortung nicht wahr. […]
Und keiner dieser Kirchenräte kann sich hinter der EKM verstecken, denn Landesbischöfin Ilse Junkermann hat sich klar positioniert: Sie stellt sich mit aller Entschiedenheit Geschichtsvergessenheit und Gleichgültigkeit entgegen.
Was für eine tolle Formulierung aus dem Baukasten der deutschen Aufarbeitungsrhetorik: „mit aller Entschiedenheit Geschichtsvergessenheit und Gleichgültigkeit entgegenstellen“. Das ist der Moral-Jackpot. Mehr geht nicht.
Wie bei Gesinnungsethikern üblich erreichen sie mit ihrem Getöse das genaue Gegenteil dessen, was sie vorzugeben meinen. Denn die reichlich späte Entnazifizierung der Kirchenglocken würde nichts anderes Bedeuten als Geschichtsvergessenheit und Gleichgültigkeit. Wie kann man zukünftigen Generationen die Involviertheit der evangelischen Kirche in das Nazi-System plastisch vorführen? Richtig: Mit Nazi-Glocken und Hakenkreuz-Gravuren.
Aber das erkläre man mal einem Kulturbanausen wie Reinhard Schramm.